Dr. Achim Heinze


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Raid Provence Extreme 23.5.2010

Wettkampfberichte > 2010


12+24+12=3: Raid Provence Extreme 2010

Als ich in den 90er Jahren mit den ersten (Lauf-)Wettbewerben begann, entwickelte sich schnell eine Grundregel: Hin- und Rückfahrt zum Startort dürfen nicht länger dauern als das Rennen selbst. Mit je 12 Stunden An- bzw. Abreise nach St. Remy de Provence zum Raid Provence Extreme war damit die persönliche Richtzeit von 24 Stunden für die angestrebte Zielzeit "vorgegeben". Dass es am Ende mit 23 h und 20 min etwas weniger wurde, kann ich verschmerzen; schließlich stand Gesamtrang 3 nach hartem Kampf zu Buche.

Zur Vorgeschichte:

Anfang März drehte ich die ersten immer noch eiskalten Runden mit dem Rennrad im Freien und konnte ich mir eine Teilnahme beim RPE gut 2 Monate später überhaupt nicht vorstellen: jeder Tritt war damals ein einziger Schmerz. Ich hätte heulen können! Natürlich wäre es mit Schmerzmitteln wohl besser gegangen, aber was wäre das für eine Perspektive gewesen, wenn man schon im Training nichts eigenständig leisten kann. Im Extremwettbewerb machen Medikamente in Zusammenhang mit Flüssigkeitsmangel im Hinblick auf die Gefahr möglicher Nierenschäden ohnehin keinen Sinn. Also musste ich mich durchbeißen: Je länger ich unterwegs war, umso entspannter wurde die Muskulatur im Bereich der Lendenwirbelsäule, gut war aber noch gar nichts. Manuelle Therapie, Mobilisation, vernünftig gesteigertes Training auf dem Rennrad, Positionsannäherung und endlich wärmere Witterung beseitigten die Rückenprobleme allmählich. Gelegentliche Rück(en)schläge nicht ausgeschlossen.
Hatte ich beim ersten Brevet an Ostern noch so meine Problemchen, lief es 5 Wochen später auf identischer Strecke schon wieder so, wie ich es von mir erwarte. Beim RPE war ich mit dieser Kombination aus moderaten Einzelmaßnahmen jedenfalls auf dem Punkt fit.

Was auch noch zur Vorgeschichte dieses Rennens zählt, ist die Vorbereitung des eigenen Teams. Noch mehr als bei anderen Extremradrennen kann man hier durch ungenügende Streckenkenntnis eine gute sportliche Leistung ins Leere laufen lassen. Deshalb hatte mein Bruder Ralf die Strecke in genauer Vorarbeit bereits Ort für Ort in den Routenplaner eingegeben und mein Cousin Jürgen (Rosenberger) die Karte genauestens studiert. Trotzdem ließen sich eine kurze Campingplatzbesichtigung und etwas unfreiwilliges Sightseeing in Bonnieux nicht verhindern.

Der Rennverlauf:

Beim Start um 11.oo Uhr im berühmten Bedoin am Fuße des noch berühmteren Mont Ventoux sind wir nicht die einzigen, welche diesen Berg bezwingen wollen. Viele Freizeitradler nehmen ebenfalls diesen Berg in Angriff - werden sich aber damit heute begnügen. Zwei Stunden vor den Ultras ist die größere Gruppe der Randonneure (ohne Begleitfahrzeug, aber mit Windschafttenfreigabe gestartet - zusammen sind es etwa 40 Teilnehmer. Wir fahren über den ersten Col geschlossen im Feld; zu Beginn des Ventoux-Anstiegs wird das Rennen freiggeben. Wie schon vor 2 Jahren wird nicht lange gefackelt - ich ziehe gleich so weg, dass sicher keiner mitgeht. Meine beiden Betreuer stehen während des Anstiegs nur an 2 Stellen - jetzt brauche ich noch nicht viel; ihr Stressjob beginnt erst auf der Abfahrt. Problemlos gelange ich nach oben, überhole natürlich jede Menge Freizeitradler, und werfe oben nur schnell eine Weste über. Am Gipfel herrscht Volksfeststimmung, dagegen ist Alp de Huez schon fast ein Friedhof. Bergab ist es sehr gefährlich, da einfach zu viel los ist. Erst gegen Ende der Abfahrt kommt das Betreuerauto wieder heran, was eigentlich alles sagt.

In Aurel darf ich als erster Fahrer signieren: der Offizielle sucht hektisch nach Block und Stift - so ganz organisiert ist er (noch) nicht. Egal. Wellig verläuft die Strecke nun gegen den Wind. Ich knalle mich auf den Zeitfahrlenker und schaue in den Boden, da es hier keinen Verkehr gibt. So geht es fast weitere 100 km dahin. Kurz vor Manosque kommt wie erwartet Franz Venier heran, im Schlepptau hat er den französischen Teilnehmer Pascal Lacarin. Doch am nächsten Anstieg fällt dieser deutlich zurück. Gemeinsam unterschreiben wir an der zweiten Kontrollstelle in Valensole, dann bin ich wieder etwas voraus. Die Rennleitung hält den Vorsprung wohl für einen Angriff, da mir immer wieder Zeiten von 1 - 4 Minuten Vorsprung meinerseits übermittelt werden.
Nach Kontrolle 3 ändert sich das. Kurz zuvor fasert mein Gangseil aus (was man erst danach beim Abnehmen der Griffgummis merkt), was zur Folge hat, dass kaum noch ein Gang hält. Wenn ich steil bergauf fahre, muss ich immer den Hebel permanent nach links drücken, sonst kracht es durch. Meinen Betreuern sage ich erst mal nichts von dem gravierenden Problem; sie sollen die Schaltung nur kurz ölen - ich weiß ja während des Rennens nicht, woran es liegt.

In den Gorges du Verdon liegt Franz 3 Minuten vorn. Der Vorsprung steigt dann innerhalb einer halben Stunde auf 11 Minuten an: entweder er fährt jetzt so schnell oder ich werde langsamer ohne es zu merken - oder beides. Jedenfalls verabschiede ich mich nun definitiv aus der Führung und trete weiter. Mittlerweile regnet es und ich mache mir hauptsächlich Gedanken, wann ich wo was überziehen soll. Es bleibt schließlich vorerst bei einer Regenjacke auf der Route des Cretes. Die Abfahrt dort ist der reinste Horror: peitschender Regen, schmierige, rutschige und holprige Fahrbahn, Schlangen und kleinere Felsbrocken auf der Straße und links ein Abhang von einigen Hundert Metern. Ungesichert natürlich. Gut, dass es wenigstens noch hell ist.



Linkes Bild: Ständig verläuft die Route bergauf oder bergab. Rechts: Stimmungsvolles Radrennen am Abend...

Die Teilnehmer, welche wie ich vor 2 Jahren hier in dunkler Nacht fahren müssen, wissen eventuell gar nicht, dass hier ein Fahrfehler mit dem Tod bestraft werden kann! Endlich wieder auf sicheren Straßen, bleibt der Regen noch etwa eine Stunde. Im Westen schimmert noch der letzte Rest Tageslicht; es wird sicher kein Dauerregen bleiben. Als es wieder trocken ist, gönne ich mir von Kopf bis Fuß neue Kleidung. Jürgen und Ralf haben alles optimal vorbereitet; ich lasse mich bedienen und meckere trotzdem immer an irgendetwas herum. Nun ist es die unpraktisch geschnittene Träger-Radhose, mit der man(n) nicht so richtig vom Rad kann. Nochmals bleibe ich stehen und mein Bruder erledigt das Ganze mit einem entschiedenen "Skalpellschnitt". Sensible Stelle, aber alles ist heil geblieben.

Die Nacht ist nicht stockdunkel, der Mond beleuchtet etwas; ich fahre ohne Brille und komme voran. Doch als wir die Durance überquert haben, folgt eine Rüttelpiste, wie ich sie noch nie erlebt habe. Ca. 15 km fahre ich nur im Stehen, sonst werde ich seekrank. Dabei schließt der Vorfolger Laurent Moulineau auf. Er versucht, mich abzuhängen, aber nun wieder im Sitzen, komme ich relativ locker nach. Er fährt permanent in Unterlenkerhaltung. So geht es weiter bergauf - bergab auf kleinen, gewundenen Straßen, die sicherlich seit Jahrzehnten nicht mehr wegen Asphaltierungsarbeiten gesperrt waren. Den sich anschließenden Col de Murs empfinde ich nicht als besonders schlimm, wenn es auch wieder einmal 500 Höhenmeter am Stück sind. Meist kann ich nicht einmal sagen, ob es beran oder hinunter geht. Oftmals habe ich das Gefühl die Straße würde bergab verlaufen, trete aber nur auf dem drittgrößten Ritzel in Kombination mit dem großen Blatt und muss immer wieder aufstehen - folglich geht es doch den Berg hoch.

Als es endlich wieder hell wird, liegt noch die Küstenregion mit knapp 150 km und einigen kurzen und knackigen Anstiegen vor mir. Der Zweitplatzierte ist wenig voraus, der Vierte wohl knapp dahinter. 50 km vor dem Ziel versucht dieser alles und wackelt (wie schon 400 km zuvor) mit dem Schultern, steht auf, setzt sich wieder,... beißt sich aber an mich heran.
Meine Taktik ist es nun, dranzubleiben und bergauf nach Les Beaux 15 km vor dem Ziel zu attackieren. Gleich beim den ersten Steigungsprozenten trete ich dort an und reiße eine Lücke, die schnell größer wird. Im Stehen trete ich nochmals kraftvoll bis ganz nach oben; die enge Abfahrt nehme ich "avec prudence", die letzten 4 Kilometer wird besonders auf den Verkehr geachtet. Vergeigen könnte ich es nur noch selbst, was aber nicht passiert: Als Gesamtdritter komme ich nach St. Remy de Provence ins Ziel, vier Minuten vor dem Vierten, acht Minuten hinter dem Dritten. Jetzt noch Überlegungen anzustellen, was wäre passiert, wenn der Vierte eher gekommen wäre - hätten wir uns dann länger gegenseitig gepusht und den Zweiten eingeholt? Vermutlich schon, aber ich hätte ja auch ohne Druck schneller fahren können, was ich nicht getan habe, drum Ende gut, alles in Ordnung!

Warum die Erleichterung im Ziel besonders groß war:

- Während der Rennbesprechung vor dem Start wurde das Auto eines Teilnehmers bei Helligkeit an einem belebten Platz mitten im Ort aufgebrochen. Die Dokumente waren weg, Kabel rausgerissen und der Rennstart nicht mehr möglich. Unser Auto stand wie diejenigen weiterer Teilnehmer, ebenfalls auf demselben Parkplatz.

- Glück im Unglück kann man es nennen, dass das Gangseil meines Rades bzw. dessen Reste bis zum Ende durchgehalten haben.

- Glücklich kann sich ohnehin jeder schätzen, der auf dieser schwierigen und auch gefährlichen Strecke sicher im Ziel angekommen ist.

Linkes Bild: Die 3 schnellsten Teilnehmer des RPE erhalten einen Pokal und eine kostenlose Rückenmassage bei der Abschlussehrung.
Rechtes Bild: Die gelb-schwarzen Stangen verraten es: Hier gehts auf den Mont Ventoux.


Die wichtigsten Anstiege des Rennens 2010:


Col de Malaucene (458 m)

Mont Ventoux (1909 m)


Montagne de Lure:

Revest du Bion (904 m)
St. Michel (703 m)


Gorges du Verdon/Route des Cretes:

Col d´Illoir (1202 m)
Point Sublime (747 m)
Belvedere da la Maline (1268 m)
Col d´Ayens (1037 m)


Luberon:

La Bastide (622 m)
Viens (721 m)
Col de Murs (637 m)
Les 3 Thermes (574 m)


Cote d-Azur:

Cote du Cheveral (519 m)
Cote de Vernegues ( 412 m)
Col´d Alleins (410 m).


Alpillen:

Lex Beaux (232 m)

Das sieht alles nicht extrem hoch aus - man darf allerdings nicht vergessen, dass der Referenzpunkt das Tal der Durance mit 150 - 250 m ist. Es geht 400 Hm bergauf, dann 300 bergab, dann gleich wieder steil bergauf, u.s.w. >>> Insgesamt waren es 9850 Höhenmeter. Von der Kälte der hohen Alpenregionen bleibt man beim RPE jedoch verschont.

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