Dr. Achim Heinze


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Schweizer Alpenbrevet 14.8.2010

Wettkampfberichte > 2010

SustenpassSusten 2Richtung AndermattGotthardNear Biasca mit etwas unvorteilhaft geöffneter WesteLukmanierDie  One-man-crew

Schweizer Alpenbrevet 14.8.2010 / 278 km/6900 Hm

Das Schweizer Alpenbrevet ist fast so etwas wie mein Lieblingsrennen: hoch und lang. Der einzige Nachteil ist das Wetter in dieser berühmten alpinen Hochgebirgsregion. So waren auch für 2010 die Prognosen wenig erfreulich. Wechselhaftes Schauerwetter, welches ab Mittag einem richtigen Tief weichen würde.

In der Nacht vor dem Rennen klarte es zunächst auf, was ich im Auto liegend gut beobachten konnte. Doch nach und nach verschwanden die Sterne. Zum Glück stellte sich die Bewölkung bald als beschlagene Autoscheibe heraus und ließ sich durch Öffnen eines zweiten Pkw-Fensters entfernen.
Nahezu wolkenfreier Himmel erwartete 1500 Radsportler beim Start um 6.45 Uhr morgens; nur ein verdächtiges Morgenrot im Südwesten ließ mich noch schnell mein hinteres Schutzblech montieren. Dass es bereits am ersten Pass benötigt wird, hätte ich allerdings auch nicht erwartet.

Erstmals hatte ich bei einem Radrennen so etwas wie ein taktisches Konzept: Nachdem ich in den vergangenen Jahren wegen der an sich richtigen Netto-Zeitnehmung hier immer wieder Plätze einbüßen musste, stellte ich mich so auf, dass bis zur Startmatte mindestens eine Warteminute vergehen sollte. Hilfestellung leisten dann die schweizer Radsportfreunde Daniel und Rainer Egli, welche mich bis zum ersten Pass an die Spitze fahren sollten.

Bis zur Startmatte dauert es sicher eineinhalb Minuten, insofern geht das Konzept bereits auf. Das mit dem Vorfahren ist allerdings leichter geplant als getan: Die Straße ist komplett zu - trotzdem schaffen es die beiden Egli-Brüder, mich an mehreren hundert Radfahrern - ohne diese zu gefährden - vorbeizuschleusen. Dafür erstmal großen Dank an beide und alles Gute für die Tortour de Suisse nächste Woche!!

Zurück zum Alpenbrevet: Der erste Pass heißt für alle teilnehmenden Radfahrer Susten, da es eine Streckenänderung gibt. Mit Schwung schickt mich meine Eskorte aus Innertkirchen heraus in die Steigung, wie man es von Fernsehbildern der Tour de France kennt. Nur bin ich keineswegs (an der) Spitze und fühle mich (gerade von einer unnötigen Erkältung genesen) auch nicht so. Ziemlich orientierungslos, wie schnell ich jetzt fahren soll, ist mein Tempo deutlich langsamer als vor einem Jahr am Grimsel. Schon jetzt merke ich, dass dieses Taktieren als gescheiterter Versuch gelten muss. Als mit Franz Heinzl ein bekanntes Gesicht auftaucht, bleibe ich bei dieser Gruppe.

Bereits nach der ersten Hälfte des Anstiegs setzt Regen ein. Über den Susten (2224 m) bis hinab nach Wassen ist es entweder von oben oder von unten nass. Die verkehrsreiche Schöllenenschlucht bergauf kann wirklich nur als Notlösung im Zuge der Streckenänderung gelten. Angesichts des Verkehrsaufkommens und der Emissionen fällt es schwer, Radfahren hier noch als Gesundheitssportart zu verkaufen. Besser wird es Richtung Gotthardpass (2106m) , den ich nur von der Tortour bei Nacht kannte. Bergab nach Airolo sollte es auf einer "autobahnähnlichen" und entspannenden Abfahrt gehen, worauf ich mich nach den gut zwei Kilometern Pflasterstrecke zur Passhöhe schon freue. Doch daraus sollte leider nichts werden.

Die drei vor mir fahrenden Rennradfahrer halten bei der Passverpflegung an. Da mich mein Cousin Jürgen betreut, brauche ich dort nicht zu verweilen. Zwei zusehende Personen weisen mir den Weg links am Gipfelhaus vorbei, der sich bald als der falsche herausstellen sollte. Eine eher schmale und steile Fahrbahn stellt sich bald als die gefürchtete Kopfsteinpflaster-Tremola heraus, die niemand freiwillig mit dem Rennrad bergab fährt! In Unterlenkerhaltung, mehr oder weniger dauerbremsend, den Hintern hochgereckt, um die Schläge abzufedern, gibt man hier auf dem Velo kein gutes Bild ab - aber es hat bis auf einen ebenfalls verirrten Teilnehmer niemand gesehen. Dabei merke ich noch, dass die Startnummer mit dem Chip nur noch an einer Seite am Lenker hängt - kein Wunder bei dem Geschüttel - aber eine Hand vom Lenker nehmen und die Nummer einzustecken ist auf der Tremola bergab absolut nicht möglich.

Als ich die Verpflegungsstelle und Zeitmatte in Airolo erreiche, sehe ich gerade noch zwei Teilnehmer knapp einen Kilometer voraus. Nichts wie hinterher, hinab nach Biasca ist eine Gruppe Gold wert! Als ich diese erreiche, ist der Chip endgültig weg. Stattdessen habe ich vom vorherigen Gerüttel Verspannungen im Lendenbereich, die sich erst lösen, als die Gruppe zur Verpflegung vor Biasca anhält und ich absteigen und den Rücken zur Abwechslung mal in die andere Richtung biegen kann.

Das Wetter ist nun angenehm, das Tessin zeigt sich trocken, wenn auch bewölkt. In Richtung Lukmanierpass (1915 m) setzen sich Cyril Dumas und ich von der Gruppe ab um das Führungstrio einzuholen bzw. denjenigen, der erfahrungsgemäß aus der Gruppe fällt, zu schnappen. Doch nach zwei Dritteln des Anstieges erwischt es mich. Aus drei Metern werden schnell 30 Meter Distanz, die mein Begleiter voraus und bald außer Sichtweite ist. Exakt an dieser Stelle fiel letztes Jahr ebenfalls ein Teilnehmer aus der damaligen Vierergruppe*.

Auf der Passhöhe des Lukmanier setzt nun starker Regen ein, der ohne Zweifel erkennen lässt, dass das Tiefdruckgebiet nun mit seiner Front beim Alpenbrevet angekommen ist. Bergab ist es wirklich kein Fahrspaß mehr - die einzige Aufheiterung bleiben einige Ziegen, welche die Straße blockieren.

Richtung Oberalppass (2045 m) fahre ich solo bis mich eine Ampel aufhält. Da Jürgen mitgedacht hat und bereitsteht, kann ich die Unterbrechung nutzen, um Überschuhe anzulegen. Ansonsten wäre ich bei dieser Ampel bei Rot gefahren - so viel habe ich mittlerweile schon gelernt, dass die Ampelschaltungen mit ihrer Grünphase (bergauf) für Radfahrer meist zu kurz sind. Immerhin beschert mir die Pause das Gespräch mit einem Alpenbrevet-Fan, der mit dem Rennrad gekommen ist, um uns anzufeuern. Netterweise spendet er mir etwas Windschatten. Als es beim Oberalppass ans Eingemachte geht (also steiler wird), verabschieden wir uns. Kurz vor der Passhöhe winke ich nochmals nach unten. Ansonsten ist hier kein nachfolgender weit und breit Radfahrer zu sehen, d.h. ich kann mir auf den nassen Abfahrten Zeit lassen.

Durch Andermatt einspurig zu fahren und immer wieder hinter stehenden Pkws warten zu müssen, ist ein unnötiges Ärgernis. Hoffentlich kann der Veranstalter wieder die Streckenführung wie vor zwei Jahren anbieten - Militär hin oder her. Weiter im Regen bis Wassen erreiche ich vor Kälte schlotternd den ersehnten Sustenpass. Endlich wieder bergauf zum Aufwärmen! Der Pass ist lang, nass und neblig - mehr gibt es darüber nicht zu sagen.

Am Sustentunnel (immer noch auf 2224 m) gönne ich mir eine kurze Pause, um endlich eine Regenjacke überzuziehen. Bergab fahre ich vorsichtig - von hinten kommt keiner mehr - diesen Luxus leiste ich mir. Nebel, Starkregen und Kälte stellen das Durchhaltevermögen aller Teilnehmer auf eine harte Belastungsprobe. Man muss sich zusammennehmen, um nicht mit den Zähnen zu klappern oder gar mit dem ganzen Körper zu schlottern. Nach 11 Stunden 21 Minuten bin ich zurück in Meiringen. Im Ziel ist der Vierplatzierte nur anderthalb Minuten vor mir, aber es ist in diesem Fall egal. Wenn schon ein Rennen nicht läuft, dann ist es besser, mehrere Ungunstfaktoren kommen hier gleich gebündelt zusammen. Was würde man sich ärgern, wenn alles perfekt geklappt hätte und dabei der Chip verloren gegangen wäre. Zu diesem Thema noch einige Bemerkungen: Nachdem die Lenkerstartnummer mit dem Chip weg war, hielt ich bei allen Zeitnehmungmatten an und teilte den Offiziellen meine Nummer und meinen Namen mit und bat diese, im Rennbüro anzurufen. Dies hatte funktioniert, da mein Cousin, der ca. 5 min später an einer Zeitstation mit seinem Pkw anhielt, dort mein Anliegen erklärte, aber alles schon geregelt war. Dafür möchte ich mich nochmals bedanken. Auch im Ziel wusste man schon Bescheid. Dafür ein dickes Lob an die Rennleitung.

Warum ich dann plötzlich über Nacht nicht mehr in der Ergebnisliste geführt werde, ist sicher nicht dem Veranstalter, sondern wohl eher der Zeitnehmungsfirma zuzuschreiben. Der am Samstag Zweitplatzierte musste auch auf Rang 6 korrigiert werden, da bei ihm eine Zwischenzeit fehlte - es ist anzunehmen, dass sein Chip nicht ausgelöst hat. Eigentlich sollte ja die (Zeitmess-)Technik dem (radfahrenden) Menschen dienen und nicht umgekehrt! Eines kann ich aber jetzt schon versprechen: Nächstes Jahr stehe ich wieder am Start (sicher) und im Ziel (hoffentlich) wieder weiter vorne!

* Er hatte mich im Ziel dieses Jahr angeredet, ich konnte ihn spontan aber nicht wiedererkennen, erst danach kann man - wie so oft im Radsport - Gesicht mit und ohne Helm zuordnen.

Bilder: Jürgen Rosenberger

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