Dr. Achim Heinze


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Tortour - Challenge

Wettkampfberichte > 2013



Tortour - Challenge 550 km/6200 HM 15./16.8.2013


Alle 2 Jahre wieder stelle ich mich dieser ingesamt sehr sympathischen Veranstaltung in der Schweiz, die jedes Jahr dank mehr und mehr Staffelteilnehmern größer und größer wird. 2013 sollte es für mich die neu ins Programm aufgenommene Challenge über 550 km sein. Renato Ramella und Jürgen/Quirin Rosenberger sollten mich begleiten.

Unser Prestart war am Donnerstagmorgen um halb fünf (ich schreibe es deshalb, weil die nächste "Mütze" Schlaf erst 44 Stunden später zu haben sein würde). An diesem Donnerstag musste man sich für weiter angereiste Teilnehmer zeitig im Startort Schaffhausen einfinden, um die Startunterlagen abzuholen. Danach hieß es wieder nutzlos herumsitzen bis zur Rennbesprechung. Um 15:45 war dann Prologstart: 600 Meter flach und danach ca. 100 Hm, gesamt nur 1 km. Die Startreihenfolge war eigentlich vorgegeben, wurde aber von manchen bereits aus taktischen Gründen verändert. Mich erwischte es leider so, dass ich als erster von vier Teilnehmern fahren musste. Der vorausfahrende Motorradfahrer bremste im Flachen, ich musste dasselbe tun und die Sache war schon gelaufen. Damit wäre eigentlich der erste Ärger vorprogrammiert, aber ich schaltete auf Egalmodus und fuhr statt mit dem Bus im dichten Stadtverkehr zur Spagettispeisung lieber an den wie immer sehr angenehm temperierten Rhein zum Schwimmen. Wir gingen noch essen und sprachen kaum noch über das Rennen, sondern hatten genug andere Themen.

Als 21. musste ich mit gut 10 Min Zeitmalus am Freitag, de. 16.8.2013 um dreiviertel Eins ins Rennen. Bereits nach 2 km hat ich die ersten beiden jeweils eine halbe Minute vor mir Gestarteten eingeholt. So ging es im Prinzip bis Chur weiter: Nach 180 dunklen Kilometern war ich mit einem 34-Schnitt in den Top 10 gelandet. Natürlich wusste ich von nichts was das Renngeschehen betrifft; gerne wäre ich deshalb weiter vorne gestartet, um das Tempo der Ambitionierten als Anhaltspunkt zu verwenden.

Ich bin gemäß Reglement und Vereinbarung an jeder roten Ampel stehen geblieben, obwohl ich - wie jeder andere normale Mensch - dies im Training oder mit dem Einkaufsrad niemals so machen würde: Man würde als Radfahrer wie als Fußgänger bei einspurigen und kurzen Baustellen mit langer Ampelschaltung einfach den Gehsteig benutzen. Verkehr gab es ohnehin keinen. Da es ein Rennen sein sollte und es so abgemacht war, blieb ich sieben bis achtmal jeweils zwei bis drei Minuten bei Rotlicht stehen. Viele Teilnehmer haben das nicht gemacht, wovon man sich des Öfteren überzeugen konnte. Nur ein Beispiel: Als wir zu dritt mit kleinem Abstand an einer dieser roten Ampeln eintrafen, fuhr der erste voll drüber (war auch völlig gefahrlos!). Der dahinter sieht mich, und fordert mich auf, mitzufahren. Ich verneine und sage ihm nach der dritten Aufforderung, dass er ruhig fahren kann, ich hänge sicher niemand hin, so bin ich nicht! Also fährt er und man steht, steht und steht, kommt vor allem jedesmal aus dem Rhythmus und verliert langsam, aber sicher die Lust an dem Ganzen. Es ist zudem immer wieder erstaunlich, wie lange es dauert, bis man dann wieder aufschließt und überholen kann.

Jetzt aber zurück zur Strecke: Endlich kam nach Chur das, wofür man die Schweiz besonders lieben sollte: ihre Berge. Der zweihöckerige Sattel nach Versam bot endlich die ersten Höhenmeter. Bis Disentis, wo es Richtung Oberalbpass ging, war ich immer noch mit einem guten 31-Gesamtschnitt unterwegs. Auch deshalb, weil die Einschreibkontrollen wirklich perfekt organisiert waren und man abgesehen von den Ampeln immer on bike war!

In der Abfahrt von Oberalbpass erlitt mein Rad einen Defekt, was dazu führte, dass ich für den Rest des Rennens, also noch ca. zwei Drittel, die Gänge 7,8,9, und 10 nicht mehr benutzen konnte. So hieß es bergab nur noch rollen. Zu allem Überfluss geriet ich bergab in der Schöllenenschlucht direkt hinter einen Schwertransport, der nur 25 bis 30 km/h fuhr und nicht überholt werden konnte. Wenigstens gab es großes Lob vom dort postierten Streckenposten. Doch: Die Zeit ist einfach weg. Da es jedoch bergauf immer noch perfekt lief, war ich am Sustenpass weiter bis auf Position 5 vorgerückt. Ähnlich locker lief es auch den Brünigpass hinauf und selbst der steile und der direkten Sonnenstrahlung ausgesetzte Glaubenberg forderten mich nicht voll. Dafür die Abfahrt um so mehr: Auf halber Höhe war die Straße wegen eines Baukrans komplett gesperrt. Also beratschlagen, was zu tun sei. Die Rennleitung anrufen? Ich fuhr schließlich dementsprechend verunsichert und ohne navigierendes Begleitfahrzeug weiter. Mittlerweile auf Rang vier, war das Rennen damit irgendwie vorbei. Wie sollte ich ohne Begleitfahrzeug den Weg auf der vorletzten Etappe finden? Ich rollte langsam bergab und blieb auch mal stehen, um das Handy einzuschalten.

Mit Diplomatie erreichten meine Begleiter inzwischen eine Durchfahrt und gegen Ende des Tales auch mich wieder. Auch wenn sie wieder bei mir waren, das alles noch als Radrennen anzusehen, wollte nicht mehr so recht gelingen. So schlossen auf dem dann schon wieder flachen Abschnitt die beiden hinter mir liegenden Fahrer auf. (Als Vergleich für einheimische Besucher der Webseite: Ich hatte mir gemäß Höhenprofil im Routebook diese Abschnitte etwa so vorgestellt wie die Strecke zwischen Simbach und Pfarrkirchen, es war aber eher so wie zwischen Bad Füssing und Simbach, also flach und mit etwas Fantasie und Gutwill vielleicht noch leicht wellig zu nennen).

Statt Höhenmetern gab es dafür Verkehr satt. Eine geschätzt kaum 5 Meter breite und extrem viel befahrene Straße und Lastwagen, Lieferwagen, usw. die natürlich bei Gegenverkehr überholten. Ich fuhr mehr auf dem Bankett, wenn man das ausgefahrene schmale Schotterbett noch so nennen will, als auf dem Asphalt. Man kann auf solchen Straßen einfach kein Radrennen fahren - und schon zweimal nicht zur Rush-Hour am Freitagnachmittag!
Ich habe kein 700 Seiten umfassendes Lehrbuch auf dem Gebiet der Verkehrserziehung verfasst, um mich dann so etwas auszusetzen - das muss einfach klar sein! Im Dreieck Zürich, Basel und Bern kann man so etwas schlicht und einfach nicht veranstalten, etwas anderes kann man nicht hierzu schreiben. Ich weiß, dass es genug Radfahrer gibt, die das nicht stört und diese Gefahren weder wahrnehmen noch verstehen, die selbst im Training solche Straßen benutzen - aber ich würde so etwas niemals machen! Auch kann ich hier für einige andere, wirklich gute Radfahrer sprechen, die es ebenso halten. Es ist einfach keine Werbung für den (Rad-)Sport, wenn es zu schweren Unfällen kommt. Der Sport dient der Gesundheit und nicht umgekehrt. Wenn dann jemand stirb, wird es wird dann wie immer unter den Teppich gekehrt, aber es ändert sich nichts - by the way: Was war denn mit der bewusstlosen Frau, die dieses Jahr bei einem bekannten Radmarathon schwer verunglückt war? Sie lag zugedeckt mitten auf dem Asphalt und das Blut lief gut einen Meter die Straße aus ihrem Mund. Auch darüber war nichts zu erfahren. Dopingfälle sind offenbar interesanter als Unglücks- oder Todesfälle, wenn es um Radsport geht.
Es sind mittlerweile genügend Agitatoren unter uns, die darauf lauern, Sport als Mord darzustellen; diese Einstellung repräsentiert schließlich die Meinung der Mehrheit - und dieser müssen viele bunte Medien aus wirtschaflichen Gründen nun einmal entsprechen. Man sollte es ihnen zumindest nicht allzu leicht machen!

Zurück zur Tortour-Challenge: Den 250 Höhenmeter langen Anstieg zu Beginn der vorletzten Streckenetappe fuhr ich noch, dann stieg ich ca. 100 km vor dem Ziel an vierter Stelle liegend aus. Ich hatte gehofft, dass dieser Streckenabschnitt wieder verkehrsärmer und auch hügeliger sein würde, da bei einem Mitfahrer das Zeitfahrrad wieder eingepackt wurde, doch es war dieselbe Blechlawine wie gehabt. Somit war es die einzig sinnvolle Möglichkeit, das Rennen zu beenden und in diesem Sinn eigentlich keine Entscheidung, da alternativlos, sondern einfach nur der Vollzug dessen, was sich abgezeichnet hatte.

Eine gewisse Verärgerung bleibt zurück, da mein Team perfekt gearbeitet hatte, ich nie müde war und ich mich selten so auf den Punkt gebracht ernähren konnte. Ich erhielt immer genau das zum richtigen Zeitpunkt, was ich gerade ordern wollte. Und dies bei schwierigsten Rahmenbedingungen: Das Begleitfahrzeug durfte nicht bei mir sein, sondern nur am Streckenrand stehen, was bei diesem Verkehr und den überfüllten Straßen kaum möglich war. Wir entdeckten in dieser Region außer uns Teilnehmern auch keinen einzigen "freiwilligen" Radfahrer - das sagt auch einiges aus.

Als wir dann im Auto auf derselben Strecke Richtung Schaffhausen zurückfuhren, standen wir bereits nach wenigen Kilometern 20 Minuten im Stau. Was hätte man da als Radfahrer machen sollen? Wieder ohne Begleitfahrzeug allein weiter? Bei dieser so schwierig zu navigierenden Strecke? Hätte dann einer der Begleiter mit dem Ersatzrad mitfahren sollen?

Trotz der schwierigen Geburt kann und sollte die Tortour-Challenge in eine sichere und erfolgreiche Zukunft geführt werden. Die Strecken im Gebirge waren wirklich schön zu fahren, gut zu betreuen und eine Werbung für die Veranstaltung, hatten aber doch einen sehr geringen Anteil an der Gesamtroute. Es gab auch medizinische Hilfe in Bereitschaft, diese Punkte waren wirklich gut duchdacht! Die Idee einer zusätzlichen Challenge zur Tortour ist insgesamt auch eine gute, die Strecke kann angesichts dieses Erstversuchs allerdings in dieser Form keinesfalls aufrecht erhalten werden. Man sollte einfach dieselbe Strecke wie die Tortour nutzen, inclusive der Achterschleife durchs Engadin mit Albula und Flüela und wie gehabt dann nach Susten und Brünig das Ziel auf dem Glaubenberg machen. Das ist ein schöner Hotspot mit wirklich besonderem Blick! Das Ziel muss für die Challenge, die ja die Schweiz nicht topographsich umrunden muss, nicht zwangsläufig in Schaffhausen sein: Man fährt dann einfach zur Abschlussfeier (am Tag darauf in Schaffhausen) bequem mit dem Pacecar auf der Autobahn zurück. Denkbar wäre auch, das Ziel auf dem höchsten mit dem Rennrad befahrbaren Punkt der Schweiz, Top of Switzerland, da gibt es doch viele Möglichkeiten so etwas zu präsentieren.

Ein Grundproblem offenbart sich aber doch, wie auch bei weiteren Extremsportveranstaltungen: Es gibt keine Richtlinien, keinen Verband, keine Fahrergemeinschaft bzw- gewerkschaft/Interessensvertretung, keine Sicherheitsberatung, keine definierte Rechtslage, sondern meist von lokalen und komplett überforderten Behörden mehr oder weniger drastische und nur mobilitäts- aber so gut wie nie sicherheitsorientiere Vorgaben. Ähnlich wie im Radmarathonbereich, wo auch so gut wie nichts geregelt ist (keine Sicherheitsstandards, keine Dopingkontrollen, meist nicht einmal Regeln für das Rennen, so nach dem Mott "die anderen schreiben da auch nichts und außerdem ist das Sache der Zeitnehmungsfirma..."), liegt im Extremsport so ziemlich alles im Argen. Ein internationaler Verband mit Sicherheitsgütesiegel (aber bitte nicht diesen PR-Zertifizierungsfake!), Veranstalterhilfe und -check und dergleichen ... wären die einzige zielführende Maßnahmen. Jeder Teilnehmer kann dann beitreten und so mitfinanzieren. Abgesehen davon würden Dopingtests die Aquirierung von Sponsoren für Verbandsaktivitäten extrem erleichtern!




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